Sortenfund: Hegnacher Pfefferminze

Aktuelles Information Sorte

Für einen Zeitraum von 100 Jahren war Hegnach, im Rems-Murr-Kreis zwischen Waiblingen und Ludwigsburg gelegen, das Zentrum der Arzneipflanzenproduktion in Württemberg (1). Zu dieser Spitzenposition beigetragen hatte vor allem der Anbau von Pfefferminze. Ein erster schriftlicher Beleg hierzu datiert aus dem Jahr 1859. In den besten Jahren, zwischen 1870 und 1940, haben bis zu 80 Produzenten in Hegnach auf einer Fläche von zusammen etwa 30 ha Pfefferminze angebaut. Der jährliche Gesamtertrag lag somit bei etwa 210 t frisch geernteter Pflanzen, aus dem etwa 30 t getrocknete Ware gewonnen werden konnten. (2)

 

„Die Hegnacher Pfefferminze ist bekannt und gesucht und erzielt mitunter den doppelten Preis anderer Anbaugebiete“ (3). Hegnach sorgte fast im Alleingang dafür, dass im Handel neben der Thüringer und der Pfälzer Pfefferminze die Sorte Württemberger zum Inbegriff für (Marken)Qualität wurde. Umgekehrt sicherte die Handelspflanze die Existenz vieler (klein)bäuerlichen Betriebe im Ort. Die „echt Hegnacher Pfefferminze“ war „reine Blattware“, die nach der Ernte aufwändig von vielen Händen vom Stängeln gezupft und schonend im Schatten getrocknet werden musste. Beliefert wurden Apotheken, Drogerien und Großhändler, ein Großteil wurde in der Region im Hausierhandel von Haus zu Haus abgesetzt.

Die Pfefferminze dominierte den Ort. Das konnte jede/r, wenn „gezopft“ wurde, auch riechen. Dann durchzog intensiver Pfefferminzduft die Gassen und Straßen. Das ist inzwischen längst vorbei. Bessere Verdienstmöglichkeit in der nahen Industrie und preisgünstigere Konkurrenzware besiegelten das Ende des erwerbsmäßigen Anbaus. Aus dem kleinen Ort – „Gemeinde dritter Classe, mit 573 Einw., worunter 1 Katholik“ (4) – ist heute, eingemeindet nach Waiblingen, eine Schlafstadt für in der Region Stuttgart Beschäftigte mit 4.500 Einwohnern geworden (5).

Die Frage „Gibt es noch botanische Relikte des Hegnacher Pfefferminzanbaus?“ stellt sich natürlich. Einige wenige Familien haben den Anbau für den Hausgebrauch weiterbetrieben, sie kultivieren also in ihren Gärten nach wie vor ererbtes Pflanzgut. Der Tradition entsprechend erfolgt die Vermehrung vegetativ, über Wurzelaustriebe. Da nach 1930 überwiegend die ertragreichere englische Sorte Mitcham angebaut wurde, galt/gilt bei den Leuten die ältere, zuvor überwiegend angebaute (Land)Sorte als „der (sic!) echte Hegnamer Pfeffermenz“. Dabei handelt es sich um eine Sorte der Grünen Minze, wohl eine Verwandte der Pfälzer Pfefferminze. (6)

 

Die Bezeichnung Hegnacher Pfefferminze war nicht exklusiv an diese Sorte gebunden, ist sie doch lediglich eine geografische Herkunftsbezeichnung, die auch noch für die anschließend angebaute Sorte Mitcham Gültigkeit hatte.

Woher der Pionier des Pfefferminzanbaus in Hegnach, ein größerer landwirtschaftlicher Gutsbetrieb, um das Jahr 1850 seine Sprösslinge bezogen hatte, ist nicht belegt. Erzählungen zufolge hat er sie aus England mitgebracht. Der erfolgreiche Pfefferminze-Anbau auf dem Gutsbetrieb machte im Ort schnell Schule: die Hegnacher Bauern kauften bei ihm Sprösslinge für den eigenen Anbau.

1895 pries der Gutsbetrieb seine Hegnacher Pfefferminze so an: „mehr aromatisch (…) als Pfälzer u. Türinger Ware“, „(behält) Jahr und Tag den aromatischen Geruch“ (7). Später wird die Sorte, im Vergleich und in Abgrenzung zu Mitcham, als milder, aromatischer und bekömmlicher beschrieben. Als Tee wurde sie in Hegnach, ganz so wie in England, gern mit Milch getrunken.

Alles deutet darauf hin, dass wir nun in Hegnach noch Exemplare der „echten“ (grünen) Hegnacher Pfefferminze aufgetrieben haben! Allerdings setzen wir hinter das Ausrufe- auch ein (kleines) Fragezeichen.

Die Frage, was „echt“ und „original“ ist, begleitet alle Traditionen. Pfefferminze verändert sich rasch. Exemplare von damals sind für einen direkten Vergleich nicht verfügbar. Rückschlüsse von heutigen Pflanzen ausgehend bleiben somit immer auch spekulativ. Wir meinen, dass unsere Befunde, an aktuellen Exemplaren gewonnen, sich weitgehend decken mit den überlieferten Merkmalsbeschreibungen der „echt Hegnacher Pfefferminze“.

Text und Bilder: Werner Unseld (2020)

Anmerkungen

  1. Vgl. Heil- und Gewürzpflanzen. Mitteilungen der Deutschen Hortus-Gesellschaft, Bd. 15. Freising 1934, S. 32
  2. Diese und andere hier verwendete Daten, Zahlen, Fakten sind entnommen dem grundlegenden Band: AK Ortsgeschichte des Schwäbischen Albvereins, OG Hegnach (Hg.): Pfefferminze in Hegnach. Hegnacher Pfefferminze. Bericht über die Zeit des feldmäßigen Anbaues der Pfefferminze in Hegnach (etwa 1830-1980). O.O. (Waiblingen 2007). Vgl. hier S. 18 und S. 39
  3. Berichte der Deutschen Pharmaceutischen Gesellschaft, Band 27. Berlin 1917, S. 329
  4. Beschreibung des Oberamts Waiblingen. Stuttgart/Tübingen 1850, S. 158
  5. Vgl. Hegnach – Wikipedia, abgerufen 21.08.2020
  6. Vgl. wie Anmerkung 2, S. 9-11
  7. wie Anmerkung 2, S. 43

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